Bericht der Gruppe
Junge Kunst

Ankäufe 2024
Bei den Ankäufen der Gruppe Junge Kunst standen erneut die Künstlerinnen im Fokus. Es konnte eine schöne Gruppe von Werken erworben werden, die von Videoarbeiten über konzeptuelle Malerei bis hin zu Collagen eine grosse Bandbreite an künstlerischen Medien umfasst. Mit den Neuerwerbungen wurden einerseits bereits früher angekaufte künstlerische Positionen verstärkt, andererseits wichtige Lücken geschlossen. Es war der Gruppe Junge Kunst zudem ein Anliegen, ältere Bestände in der Kunsthaus-Sammlung aus einer zeitgenössischen Perspektive neu zu beleuchten – wie dies bei «Why Are You Angry?» (2017) von Rosalind Nashashibi (1973) und Lucy Skaer (1975) geschieht. Die beiden arbeiten seit 2005 unter dem Künstlernamen Nashashibi/Skaer zusammen. Sie untersuchen in ihren Filmen, wie Kunstwerke im Hinblick auf Status, Wirkung und Wert im Lauf der Zeit eine Veränderung erfahren. In «Why Are You Angry?» nutzen Nashashibi/Skaer die Gelegenheit, das von Gauguin in seiner Malerei imaginierte Bild der Region Tahiti aus einer heutigen Perspektive zu aktualisieren. Sie eröffnen einen neuen Blick auf das koloniale Andere und geben den bei Gauguin passiv und als Objekte des männlichen Blicks dargestellten Frauen ihre Handlungsmacht zurück. Die Protagonistinnen in Nashashibi/Skaers Film begegnen dem Blick der Kamera selbstbewusst und übernehmen eine aktive Rolle. Gleichzeitig reflektieren Nasashibi/Skaer mit «Why Are You Angry?» ihre Position als britische Künstlerinnen, die zugleich weiblich, kolonial und postkolonial ist.
Rosalind Nashashibi (1973)
und Lucy Skaer (1975)
Why Are You Angry?, 2017
Digitally transferred 16 mm film, 18 minutes, Edition: 5 of 5 + 2AP, PF 4522.5
Kunsthaus Zürich, Vereinigung Zürcher Kunstfreunde,
Gruppe Junge Kunst, Ankauf 2024
© 2025 Nashashibi/Skaer
Gabriele Goliath (1983)
Deinde Falase, 2024
3-channel video and sound installation STD 1/3
Kunsthaus Zürich, Vereinigung Zürcher Kunstfreunde,
Gruppe Junge Kunst, Ankauf 2024
© 2025 Gabrielle Goliath /
Photo: Luc Meneghel
Um ein dekoloniales, schwarzes, feministisches Projekt geht es bei «Personal Accounts» von Gabrielle Goliath (*1983). Bereits 2021 hatte die Gruppe Junge Kunst eine Videoinstallation dieser vielversprechenden jungen Künstlerin aus Südafrika erworben. Seither hat sich die Karriere von Gabrielle Goliath auf beeindruckende Weise weiterentwickelt. Letztes Jahr konnte sie «Personal Accounts» an der Venedig-Biennale zeigen, was sowohl die Presse als auch das Publikum begeisterte. 2014 ins Leben gerufen, befasst sich «Personal Accounts» mit den vielfältigen Formen patriarchaler Gewalt. In Zyklen, die in Städten auf der ganzen Welt produziert wurden, teilen Frauen, queere und non-binäre Menschen ihre persönlichen Berichte. Manchmal geht es um traumatische Erfahrungen von körperlicher, sexueller oder emotionaler Gewalt, in anderen Fällen um die alltäglichen Strukturen und Erwartungen, die patriarchale Normen aufrechterhalten und so andere Lebensweisen in ihrer Existenz bedrohen. In Absprache mit den dargestellten Personen bearbeitete die Künstlerin die Erzählungen so, dass die gesprochenen Worte des Berichts zurückgehalten werden. Was bleibt, ist ein paralinguistischer Klangstrom von Zwischenmomenten: Atemzüge, Schlucke, Seufzer, Schreie, Summen, sogar Lachen – die das Nebeneinander von Gesagtem, nicht Gesagtem, oder wenn gesagt, nicht Gehörtem auf eindrückliche Weise ab- bilden. Die Gruppe Junge Kunst konnte einen Teil dieser berührenden Gesamtinstallation erwerben. Es geht darin um die Geschichte von Deinde Falase, einem bekannten Nachrichtensprecher in Nigeria. Ihm kam die Aufgabe zu, das Gesetz über das Verbot der gleichgeschlechtlichen Ehe am Fernsehen zu verkünden, das am 7. Januar 2014 in Kraft trat. Das Gesetz stellte nicht nur die gleichgeschlechtliche Ehe unter Strafe, sondern sah auch Haftstrafen für Personen vor, die gleichgeschlechtliche Liebesbeziehungen eingehen oder «zur Schau stellen». Kurz nach der Ankündigung verliess Deinde, selbst homosexuell, Nigeria und ging nach Südafrika, wo die Rechte von LGBTIQ+ Menschen in der Verfassung verankert sind. Zehn Jahre später ist er jedoch immer noch ein Asylbewerber ohne Arbeitserlaubnis, der trotz seiner Zeugnisse, zu denen auch ein Master-Abschluss der Universität Leeds gehört, keine Arbeit findet.
Eine persönliche Geschichte von Vertreibung erlebte auch Elisabeth Wild (1922–2020), von der die Gruppe Junge Kunst eine Gruppe von Collagen angekauft hat. Wild wurde in Wien in eine jüdische Familie geboren und floh während des Zweiten Weltkriegs mit ihren Eltern nach Argentinien. 1962 musste die Familie erneut fliehen, diesmal vor dem Regime von Juan Perón und fand eine neue Heimat in Basel. Wild nahm als junge Frau Malunterricht, arbeitete später als Textildesignerin und eröffnete in Basel schliesslich ein Antiquitätengeschäft am St. Johannstor. Dieses wurde zum Ventil für ihre Kreativität und unterstützte sie und ihre Familie auch finanziell. Im Jahr 2007 zog Wild zu ihrer inzwischen ebenfalls berühmt gewordenen Tochter Vivian Suter (*1949) in das abgelegene guatemaltekische Dorf Panajachel. Bis zu ihrem Tod im Alter von 98 Jahren schuf Wild täglich Collagen mit Versatzstücken aus Architektur-, Design- und Lifestyle-Magazinen. Sie entwarf fröhliche, abstrakte Welten, die sich zwischen Konstruktion und Destruktion bewegen und von einem architektonischen Sinn für den Raum geprägt sind.
Elisabeth Wild (1922–2020)
Untitled, 2003–2006
Drei Collagen auf Papier,
Objektmass: 37,5 × 27,5 cm
Kunsthaus Zürich, Vereinigung Zürcher Kunstfreunde,
Gruppe Junge Kunst, Ankauf 2024
© 2020 Estate of Elisabeth Wild
Bruno Jakob (1954)
Vier Werke. Again and Again and Again,
Daily Movements, Pump the Cyberspace/
Cyberpresence, 2023–2024
Unsichtbare Malerei, Wasser und
Gehirnströme auf regenbogenfarbenem
(latent) grundiertem Papier,
Kunsthaus Zürich, Vereinigung Zürcher Kunst-
freunde, Gruppe Junge Kunst, Ankauf 2024
© 2025 Bruno Jakob
Einen Raum der Vorstellung eröffnet Bruno Jakob (*1954) mit seiner Kunst. Seit den 1970er-Jahren erforscht er mit den Mitteln der Malerei das Unsichtbare, das Vorläufige und das Veränderliche. Die Besonderheit seiner Arbeit liegt in der Nutzung atmosphärischer Phänomene, natürlicher Prozesse und ephemerer «Materialien» wie Energie, Licht, Gedanken und Gehirnströme. Es ist ein Nachdenken über die Bedingungen und die Möglichkeiten von Malerei, das in seiner Ausformulierung gleichzeitig radikal und poetisch ist. Seine fortlaufende Serie unsichtbarer Gemälde hinterfragt den Schein und lässt Bilder jenseits des Sichtbaren entstehen – z. B. mit Wasser, das auf Papier oder andere Malgründe gestrichen wird, eine Spur hinterlässt und dann in die Atmosphäre verdunstet. Die Malerei wird so zu einem performativen, flüchtigen Akt, der unsere Wahrnehmung herausfordert und einen neuen Blick auf die Welt eröffnet. Bruno Jakobs leise und entmaterialisierte Kunst ist immer noch ein Geheimtipp und es gilt, sie ihrer Tiefe zu entdecken. Es freut uns daher sehr, dass die Gruppe Junge Kunst mit ihrem Ankauf einen Beitrag dazu leisten kann.
Mirjam Varadinis
Curator-at-large Kunsthaus Zürich
Vorsitzende Gruppe Junge Kunst