Bericht 2021 Gruppe
Junge Kunst

Eine wichtige Impulsgeberin ...

Das vergangene Jahr bot mit der Eröffnung des Chipperfield-Erweiterungsbaus ein einmaliges Highlight. In der Neupräsentation der Sammlung konnten viele Kunstwerke entdeckt werden, die schon lange nicht mehr zu sehen waren oder noch gar nie gezeigt wurden – darunter auch verschiedene Ankäufe der Gruppe Junge Kunst. Dabei zeigte sich, wie wichtig diese Erwerbungen sowohl inhaltlich wie formal für die Sammlung des Kunsthauses sind. Gerade im Bereich der Installationen, Fotografie, Videokunst und Performance wurde deutlich, dass die Gruppe Junge Kunst wichtige Impulsgeberin war und ist. Auch für die Präsentation von Werken aussereuropäischer Kunst boten die Ankäufe der letzten Jahre eine bedeutende Grundlage. Das zeigte beispielsweise die 2019 angekaufte Installation «Lawn» (2017/2019) der südafrikanischen Künstlerin Lungiswa Gqunta (1990), die im 2. Stock des Chipperfield-Baus einen prominenten Auftritt hatte und grosse Beachtung fand.

Grace Schwindt (*1979), «Dress and burned furniture», 2013
Verbranntes Holz, Keramik, Stahl, Wachs und Seide, Mass: 105 × 202 × 63 cm Vereinigung Zürcher Kunstfreunde, Gruppe Junge Kunst

Auch Gabrielle Goliath (1983), von der im Berichtsjahr die starke und berührende Videoinstallation «This song is for...» (2019) angekauft wurde, stammt aus Südafrika. Die Künstlerin setzt sich in dem Werk mit dem Thema der Gewalt gegen Frauen und nichtbinäre Personen auseinander. In der raumfüllenden Videoinstallation präsentiert uns die Künstlerin eine Sammlung sogenannter Dedication Songs, also Musikstücke, die einer bestimmten Person gewidmet sind. Die Lieder wurden jeweils von einer Überlebenden einer Vergewaltigung ausgewählt. Es sind Stücke, die die Opfer in eine bestimmte Zeit und an einen bestimmten Ort vor dem Gewaltverbrechen zurückversetzen und eine Welt voller Erinnerung und Gefühle hervorrufen. An einer bestimmten Stelle gibt es in jedem Lied eine klangliche Unterbrechung oder Störung, die an den Effekt einer zerkratzten Schallplatte erinnert. Mit diesem «Sprung» schafft Goliath ein eindrückliches Bild für den Moment des Übergriffs und bietet den Zuhörer:innen zugleich die Möglichkeit, in diesem klanglichen Zwischenraum der traumatischen Erinnerung affektiv beizuwohnen. Der zweite Ankauf im Berichtsjahr stammt ebenfalls von einer Künstlerin. Es handelt sich um Grace Schwindt (1979), die in London und Amsterdam arbeitet. Sie ist parallel in mehreren Medien unterwegs, in Skulptur, Zeichnung, Installation, Film, Performance oder Oper, die sie als plastische Künstlerin, Autorin und Regisseurin prägt. Einzelne Figuren, Motive und Materialien tauchen in verschiedenen ihrer Werke auf und kreieren so ein faszinierendes Spiel von Verweisen unter den einzelnen Arbeiten. Die farbigen Seidenstreifen in «Dress and burned furniture» (2013) spielen beispielsweise auf das Kostüm einer vogelartigen Figur an, die mitten in Schwindts Film «Only a Free Individual Can Create a Free Society» den streng choreografierten Sprechchor über Möglichkeiten und die Unmöglichkeit von freien Gedanken und freiem Handeln im sozialen Kontext tanzend aufbricht. Lange bunte Streifen verwendet die Künstlerin verschiedentlich auch als Vorhang oder durchlässigen Raumteiler in grossen Installationen. «Dress and burned furniture» trägt nicht nur ein Requisit, es ist zugleich selbständige Skulptur im White Cube, die als Kulisse für die Bewegung der Betrachtenden agiert. Mit diesem Ankauf verstärkt die Gruppe Junge Kunst Positionen in der Sammlung, die sich mit performativen Strategien auseinandersetzen und sich mit ihrem Werk zwischen den verschiedenen Gattungen bewegen.

Mirjam Varadinis
Kunsthaus Zürich

Gabrielle Goliath (*1983), «This song is for ...», 2019
22-Kanal-4K-Video, Sound, Licht, Bodenkissen und Vinyl Text, Variable Dimensionen STD 1/3, Vereinigung Zürcher Kunstfreunde, Gruppe Junge Kunst