«Kunst ist eine Sprache!»
Interview für «Ticino Welcome»
Autorin: Dr. Elisa Bortoluzzi Dubach
Gitti Hug, wie würden Sie die Rolle von Kunst und Philanthropie in unserer heutigen Gesellschaft beschreiben?
Gitti Hug: Die Rolle von Kunst und Philanthropie in unserer heutigen Gesellschaft kann ich weniger allgemein gültig, als mit Bezug auf mich selbst beschreiben. Kunst unterhaltet, reflektiert das Zeitgeschehen, eröffnet neue Welten und Perspektiven, sprengt festgefahrene Denkmuster und definiert sich letztendlich über eine Haltung und die Fähigkeit, der sozialen Wirklichkeit unserer heutigen Gesellschaft weltoffen und tolerant zu begegnen. Dies zu unterstützen, finde ich wichtig.
Wann haben Sie erkannt, dass Kunst in Ihrem Leben eine zentrale Rolle spielen wird?
Gitti Hug: Kunst ist eine Sprache. Ein Kommunikationswerkzeug, mit dem sich Kunstschaffende mit der heutigen Welt, ihren Befindlichkeiten und mit dem Zeitgeist unserer Epoche auseinandersetzen. Viele heutige Künstlerinnen und Künstler sind für mich denn auch talentierte moderne Historiker. Sie zeigen Zeichen und Bilder des heutigen Lebens. Als ich dies erkannt habe, habe ich entschieden, dass Kunst ihn meinem Leben eine Rolle spielen wird.
Hat Ihre Ausbildung einen Einfluss darauf gehabt, dass Sie sich für Kunst und Philanthropie engagieren?
Gitti Hug: Ich denke, dass die Studien der Betriebswirtschaft und der Jurisprudenz nicht unbedingt geeignet sind, die Freude an der Kunst und am philanthropischen Engagement entstehen zu lassen. Ich komme aus einer Familie, in der Kunst eine wichtige Rolle spielte. Die im familiären Umfeld gelebte philanthropische Tradition wie auch das frühe Erleben und den Umgang mit Kultur dürfte denn auch weitaus bedeutender für das Interesse und die Entwicklung des Kunstverstandes sein.
Welche Werte sind für Sie besonders wichtig in Bezug auf diese Themen?
Gitti Hug: Die wichtigste Aufgabe für die Förderung der Philanthropie in der Kunst ist das Bewusstsein schaffen für privates Engagement in der Kulturförderung. Die Förderung von Kunst ist nicht Luxus, sondern identitätsstiftend. Dazu benötigt es in erster Linie - nebst der Leidenschaft für die Kunst - den Aufbau einer Vertrauensbeziehung zur unterstützten Institution. Der Philanthrop, der mit einer öffentlichen Institution zusammenarbeitet, muss Identität spüren und Vertrauen haben in den Raum, in dem Kultur geschaffen wird.
Wie hat Ihr Engagement für die Kunst Ihren Blick auf die Welt verändert?
Gitti Hug: Die Beschäftigung mit der Kunst macht mir Freude, ist nie langweilig, hält lebendig und schafft Verständnis für unterschiedliche Sicht- und Denkweisen. Es handelt sich also weniger um eine Veränderung des Blickes auf die Welt, als um eine Anreicherung dieses Blickes und um ein bewusstes Erkennen der durch die Kunst vermittelten Vielfältigkeit des Lebens
Sie sind Präsidentin der Zürcher Kunstfreunde: Wann erfolgte die Gründung, wer waren die Gründer und welche Ziele verfolgt die Vereinigung?
Gitti Hug: Im Jahre 1917 stellte sich im Zusammenhang mit der Realisierung einer grossen Ferdinand Hodler Ausstellung im Kunsthaus Zürich heraus, dass die Mittel für bedeutende Erwerbungen völlig fehlten, während andere öffentliche Kunstsammlungen in der Schweiz durch einzelne Familien und Personen kulturell stark gefördert und finanziell unterstützt wurden. Um aus dieser Notlage heraus zu finden - Zürich blühte als Finanzstandort auf - hatte sich eine Gruppe von 20 Personen aus der Stadt Zürich zusammengeschlossen und die Vereinigung Zürcher Kunstfreunde gegründet. Wenige Tage später war - so die Ueberlieferung - bereits ein Betrag von über CHF 200'000.— zusammengetragen worden und die Werke von Ferdinand Hodler konnten für das Kunsthaus angekauft werden. Unter den Mitgliedern des Gründungsjahres befand sich auch mein Grossvater Adolf Hug-Schlaepfer.
Die Zweckbestimmung der Vereinigung Zürcher Kunstfreunde hat sich bis in die heutige Zeit aufrechterhalten und besteht in der finanziellen und ideellen Unterstützung des Kunsthauses. Mit den jährlichen Mitgliederbeiträgen der Vereinigung, die nicht unerheblich sind, werden in Abstimmung mit dem Kunsthaus Werke angekauft. Diese werden als Dauerleihgaben dem Kunsthaus unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Ausserdem soll der interdisziplinäre Austausch der Mitglieder mit internationalen Künstlern, Sammlern, Kunst- und Kulturfachleuten gefördert sowie Gelegenheit geboten werden, informelle Kontakte untereinander zu knüpfen.
Welche Aktivitäten bietet die Vereinigung den Mitgliedern an, um sich mit der Kunstszene in Zürich zu vernetzen und auszutauschen?
Nebst zahlreichen finanziellen Vergünstigungen rund um das Kunsthaus Zürich wird exklusiv für die Mitglieder ein reichhaltiges und spannendes Jahresprogramm mit kuratierten Previews, Besuchen von Künstlerateliers, bei Sammlern, in Museen und universitären Bildungseinrichtungen sowie kuratierten und geführten Kunstreisen in der ganzen Welt angeboten. Hinzu kommt, dass die Kunstfreunde Zürich eine gemeinnützige und daher steuerbefreite Organisation ist, so dass die Mitgliederbeiträge wie auch andere Zuwendungen steuerlich absetzbar sind. - Heute ist die Vereinigung mit über 1000 Mitgliedern ein vielschichtiger Freundes- und Fördererkreis mit einer steigenden Anzahl Jungmitglieder geworden, die sich der Unterstützung des Kunsthauses verpflichtet fühlt und gleichzeitig gegen aussen als Vermittlerin von Kunst und Kultur auftritt.
Was haben die Zürcher Kunstfreunde für das Kunsthaus Zürich über die Jahre bewirkt?
Gitti Hug: Mit dem Erwerb von Werken, die dem Kunsthaus als Dauerleihgaben zur Verfügung gestellt werden, konnten nicht nur Lücken in der Sammlung des Kunsthauses geschlossen, sondern auch Schlüsselwerke angekauft werden, was zum Ausbau einer der bedeutendsten Institutionen der Schweizer Museumslandschaft geführt hat, Die Sammlung enthält Namen wie Francis Bacon, Constantin Brancusi, Georg Baselitz, Giorgio de Chirico, Marc Chagall und Piet Mondrian, Sigmar Polke, Franz Gertsch und George Braque. Dazu kommen die Ankäufe der Gruppe Junge Kunst, die im Rahmen eines bescheidenen Budgets bereits in den 70 Jahren Arbeiten von Donald Judd, Toni Craigg, Mario Merz, Edward Ruscha, Martin Kippenberger und in den 90 Jahren Andreas Gursky erwarb, also zu einem Zeitpunkt, als die Positionen zum Teil dem grösseren Publikum noch völlig unbekannt waren. - Mit derzeit rund 650 Werken in ihrem Eigentum dürfte die Vereinigung Kunstfreunde Zürich heute eine der bedeutendsten Unterstützervereine eines Kunstmuseums in Europa sein.
Sie haben erstaunlich viele junge Leute unter den Mitgliedern. Wie erklären Sie das?
Gitti Hug: Innerhalb der Vereinigung der Zürcher Kunstfreunde besteht die Gruppe Junge Kunst, die mit einem jeweils von der Mitgliederversammlung genehmigten Budget Ankäufe von Werken junger schweizerischer und internationaler Künstler tätigt. Dies führt zu einer aktiven Förderung der Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen jungen Kunstszene, was insbesondere auch jüngere Personen anzieht. Mit einem exklusiv für Mitglieder bis zum 40. Altersjahr gestalteten Veranstaltungsprogramm (Atelierbesuche mit anschliessendem Abendessen, Kunstreisen für Jungmitglieder, Künstlergespräche, u.a. ) - die Jungmitglieder bringen dabei ihre eigenen Ideen und Programmpunkte ein - sowie mit einer stark ermässigten Jahresmitgliedschaft versuchen wir, die Vereinigung trendiger zu gestalten, die Jungmitglieder zu begeistern, einzubeziehen und die Identifikation mit der zu unterstützenden Institution zu schaffen.
Unter den Mitgliedern befinden sich aber auch Angehörige der traditionsreichsten Familien in Zürich. Welchen Einfluss hat dieser Umstand auf das Leben der Organisation?
Gitti Hug: Die Gründer der Kunstfreunde Zürich im Jahre 1917 bestanden mehrheitlich aus Angehörigen traditionsreicher Familien in Zürich. Damit war die DNA gesetzt, die sich bis heute aufrechterhält, nämlich Tradition und Verantwortung, gemischt mit der Bereitschaft, sich finanziell zu engagieren. Die Gremien der Kunstfreunde setzen sich zudem aus philanthropisch tätigen Kultur- und Kunstliebhabern zusammen, was die Authentizität der Vereinigung spürbar macht.
Erinnern Sie sich an eine besondere Episode der Grosszügigkeit in den letzten Jahren; etwas was Sie nicht erwartet haben und was Ihnen einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat?
Gitti Hug: Der Begriff der Grosszügigkeit wird bei Mäzenen und Philanthropen verwendet, weniger jedoch bei denjenigen, um die es beim Werk selbst geht: Anlässlich der Ausstellungseröffnung des schweizerischen Künstlers Raphael Hefti, "Message Not Sent", 2020 im Kunsthaus Zürich, Ende des letzten Jahres, wurde die Abgabe eines einfachen Apéros an die Besucher geplant. Völlig unerwartet tauchte der Künstler jedoch am Tag der Eröffnung mit selbst finanzierten und eigens von ihm aus Frankreich geholten Austern (2000 Stück!) sowie unzähligen Flaschen des feinsten Cremants im Kunsthaus auf, so dass sich der einfache Umtrunk schliesslich in ein wunderbares Fest wandelte, das als grosszügige Geste des Künstlers den Gästen und Besuchern der Ausstellung unvergesslich bleiben wird.
Was bedeutet Grosszügigkeit in Bezug auf Ihre Rolle als Präsidentin der Zürcher Kunstfreunde?
Gitti Hug: Eine gewisse Grosszügigkeit in Bezug auf meine Rolle als Präsidentin der Kunstfreunde sehe ich insbesondere im Faktor Zeit. Dies im Zusammenhang mit der Organisation als solche, aber auch im Generieren von Ideen zur Programmgestaltung, dem Schaffen sozialer Interaktionen und dem Knüpfen von Netzwerken für die Teilhabe unserer Mitglieder an interessanten kulturellen Anlässen und Veranstaltungen.
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